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Interview

Einblicke in den Alltag des Werkstattleiters

Dieter Scharwatt ist seit Anfang 2021 der neue Werkstattleiter. Der Orthopädietechniker-Meister aus Heidelberg hat langjährige Berufserfahrung – und schon seit langem eine große Leidenschaft für Afrika und seine Menschen. Mit ihm sprach Volkhard Michel über all das, was seine Arbeit so besonders macht.

Wenn du an die Zeit in Deutschland zurückdenkst: Was sind die größten Unterschiede zu deinem heutigen Beruf und Alltag?

Ich kenne Afrika ja von früheren Reisen. Aber wenn man länger hier wohnt und arbeitet, ist erstmal alles anders und ungewohnt. Im Lauf der Zeit wird das Ungewohnte auch wieder alltäglich. Wir können uns an veränderte Bedingungen recht gut anpassen. Man kann den Unterschied zwischen den beiden Ländern aber durch Erzählen allein nicht vermitteln. Ich sage unseren Volontären, die aus Europa zu uns kommen immer: ‚Das kann man nicht erklären. Du musst es einfach selbst erleben.‘

Was für mich persönlich den größten Unterschied macht ist dies: Ich kann Menschen wieder helfen, unmittelbar und ganz direkt. Menschen die sonst keine Chance haben. In Deutschland erstickt das, was eigentlich Traumberuf sein sollte, oft in überbordender Dokumentation, viel Papierkram und anderen zeitraubenden Dingen. Den Menschen direkt helfen, ohne finanziellen oder bürokratischen Druck, das ist meine Vision, und die wird hier mit Leben gefüllt. Dies ist für mich der entscheidende Unterschied und Mehrwert.

Aber ganz ohne Probleme geht das vermutlich auch in Uganda nicht, oder ?

Nein. Man darf die Vorteile der gesundheitlichen Versorgung in Deutschland ja nicht ausblenden. Dort konnte ich mich früher beispielsweise schnell mit den betreuenden Physiotherapeuten besprechen. Und vor allem die ärztlichen Diagnosen und Verordnungen waren medizinisch abgesichert. Heute kommt ein Patient zu mir und beklagt sich über Schmerzen, dann bin ich auf mich allein gestellt. Dann habe ich keinen Arzt um die Ecke, der die Therapien verantwortet. Ich musste schauen, wie ich zurechtkomme. Darum bin ich umso dankbarer, dass wir nun eine Kooperation mit dem Lamu Hospital in Jinja haben, wo Ärzte dringend benötigte Operationen durchführen. Für die Patientinnen und Patienten bleibt das kostenfrei, sie könnten es ohnehin meist nicht bezahlen.


Was hat dich in Uganda am meisten überrascht, womit hast du nicht gerechnet?

Ich hatte andere afrikanische Länder schon vorher kennen gelernt, doch gerade Uganda ist ein landschaftlich wunderschönes Land, mit einer exotischen Tierwelt und grandiosen Landstrichen. Was mich nicht überrascht, aber sehr geprägt hat, ist die Gelassenheit und Ruhe der Menschen. Man passt sich selbst unwillkürlich an diesen Rhythmus an, wenn man länger hier lebt. Den Stress, den Termindruck und die Ungeduld, dich ich aus Deutschland kenne, all das gibt es hier kaum. Ich nehme unsere Patientinnen und Patienten einfach mal als Beispiel. Sie warten stundenlang gleichmütig und geduldig. Selbst wenn sie tagelang bleiben müssen, weil etwa die Prothesen Probleme machen, bleiben sie freundlich und gelassen. Diese Stimmung geht auch auf unser Team über, und insgesamt macht es mehr Freude so zu arbeiten als unter deutschem Dauerstress. Natürlich achte ich trotzdem darauf, unsere Arbeit bestmöglich und erfolgreich zu machen. Ein wenig „deutsch sein“ ist ja auch von Vorteil.

Was sind besonders freudige, schöne Momente?

Das ist einfach zu beantworten. Die Freude und Dankbarkeit in den Augen der einzelnen Kinder und Erwachsen, wenn sie ihre Prothesen oder andere Hilfsmittel bekommen und damit eine völlig neue Lebensperspektive. Sie hatten oft die Hoffnung schon aufgegeben, und dann bekommen sie doch ihre Versorgung. Ihre Reaktion ist für uns jedes Mal unbeschreiblich. Neulich kam eine ältere Dame, die wollte wegen ihrer Schmerzen am Knie eigentlich einen Rollstuhl. Bei der Untersuchung kam heraus, dass ihr die Schmerzen durch ihre schlecht sitzende, bisherige Prothese zugefügt wurden. Wir haben ihr eine neue Prothese gebaut. Das Glück in ihren Augen, als sie wieder gehen konnte, lässt sich nicht in Worte fassen.

Immer wieder hören wir, wie wichtig Flexibilität und Kreativität in der Werkstatt und bei der individuellen Versorgung der Menschen sind. Kannst du das unseren Lesern anhand eines Beispiels erläutern ?

Ja, es fehlt halt oft an gutem, passendem Material für den Prothesenbau. Man baut vorhandene Teile einfach um oder man funktioniert sie um. Spezialkleber hin oder her: Man klebt mit dem, was gerade da ist. Oder man macht ein funktionierendes Teil aus zwei unbrauchbaren…. Als ich kam, hatten wir wenig Material, dabei waren Volontäre angekündigt, die Prothesen bauen wollten. Die Not machte erfinderisch, ich musste also viel improvisieren.

Diese Situation hat sich durch den neuen Lager-Anbau an die Werkstatt verändert?

Ohne Zweifel! Die gesamte Materialsituation und die Arbeitsabläufe haben sich insgesamt verbessert. Ganz besonders freut mich, dass wir durch eine Kooperation mit der Otto Bock Foundation viele fabrikneue Teile für die Versorgung zahlreicher Patientinnen und Patienten zur Verfügung gestellt bekommen. Inklusive Transport aus Deutschland. Das hilft enorm.


Wie erleben die Menschen in Uganda die aktuellen Krisen auf der Welt?

Ich kann nicht auf alle Einzelheiten eingehen, aber am Beispiel der Preissteigerungen für Lebensmittel und Energie zeigen sich viele Probleme. Wenn Benzin teurer wird, werden der Transport mit Sammeltaxis und Boda Bodas für viele zu teuer. Wenn ein Liter Benzin in Deutschland 50 Cent teurer wird, ist das ein Problem aber das Leben geht weiter. In Uganda wird Transport von Waren und der Besuch von Verwandten schnell unbezahlbar. Die ugandische Regierung leistet da keine Unterstützung für die Bevölkerung, die ist auf sich allein gestellt. Die armen Familien sparen bei steigenden Preisen notgedrungen am Schulgeld oder müssen die Kinder mitarbeiten lassen. Damit sinken die Bildungschancen der heranwachsenden Menschen, was ich für katastrophal halte: Wir wissen alle, dass Bildung der Schlüssel für ein späteres selbstbestimmtes Leben ist.

Danke dass du mit in deine Arbeits- und Lebenswelt hineingenommen hast. Noch eine letzte, eher persönliche Frage an dich: Welche drei Dinge vermisst du, wenn du an Deutschland denkst?

Dass ich hier getrennt von meiner Frau lebe. Es wäre viel schöner all diese Eindrücke und Erlebnisse unmittelbar mit ihr teilen zu können. Darüber hinaus: Ein guter Käse. Den gibt es hier gar nicht. Und stabiles Internet, dafür gilt das Gleiche.

Vielen Dank für unser Gespräch, Dieter.

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