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Karsten Schulz erzählt

10 Jahre Pro Uganda - wie alles begann

„Den Menschen mit Liebe, Respekt und Zeit begegnen“
Im Gespräch mit Pro Uganda Gründer Karsten Schulz

Lieber Karsten, nun reist du seit vielen Jahren nach Uganda. Dein Team vor Ort hat viele Kinder und Erwachsene mit Prothesen versorgt. Heute ist auf dem Gelände so ziemlich alles vorhanden, was man braucht, sogar ein modernes Lager. Doch das war nicht immer so. Viele Leser wissen gar nicht wie alles begann. Erzähl uns von deiner ersten Reise und von den Begegnungen mit den Menschen, die amputiert waren.

Da muss ich tatsächlich etwas ausholen, damit man versteht was mich damals angetrieben hat. Eigentlich wollte ich ja auf der allerersten Reise vor etwa 10 Jahren „nur“ mein Patenkind in Uganda besuchen. Entscheidend war dann die Begegnung mit Pastor Fred von der Anglikanischen Kirche. Er brachte mir die Situation der Amputierten näher und bat mich auch den Osten des Landes zu besuchen, weil es dort so viele Menschen mit Handicap lebten. Ich erwiderte: „Lieber Reverend Fred, was soll ich machen? Ich habe weder Passteile noch Maschinen. Ich habe gar nichts dabei, aber ich komme dich gern einmal besuchen.“ Ich machte mein Versprechen war, und wir setzen uns in seinen Garten. Kurze Zeit später gesellten sich rund 10 amputierte Personen zu uns. Sie wollten sich einfach einmal vorstellen, ohne große Erwartungen. Abends, auf dem Weg nach Hause, sollte der Pastor noch einen Umweg machen und mir eine „Stella“ vorstellen. Ich wollte aber keine „Stella“ mehr sehen. Ich war müde, wollte duschen und schlafen. Am Ende willigte ich dochein, und ich traf zum ersten Mal auf Stella, die ihren kleinen Sohn Joshua bei sich trug. In diesem Moment wusste ich, dass ich der jungen Frau, die als Kind in ein Feuer gefallen war, meine erste Prothese in Uganda bauen würde. Zurück in Deutschland erzählte ich in der Schule von meinen Begegnungen. Der erste Sponsoren-Lauf in meiner Schule fand statt, und ein Jahr später packten wir unserer Koffer erneut. Diesmal mit Material. Die erste Prothese für Stella wurde aus dem Koffer heraus gebaut. Es war eine Stehprothese, aber es gibt die sehr bewegenden Videos auf unserer Webseite, auf denen man sieht, wie Stella mit ihr herum läuft und ihr Glück kaum fassen kann. Stella wollte immer Friseurin werden, und nur durch prothetische Versorgung wurde ihr Berufswunsch wahr! 15-20 Einsätze dieser Art folgten, die meisten waren 3-4 Wochen lang. Schüler und Meister begleiteten mich nach Uganda und bauten Prothesen mitten im Busch und aus dem Koffer heraus. Für Menschen, die sonst keine Chance hatten. Menschen, die 10 Jahre oder länger ihre Hütten nicht verlassen konnten. Die sich schämten wegen ihres Handicaps. Wir versorgten in den Folgejahren viele Kinder und Erwachsene in ihren Heimatdörfern – so lange, bis wir 2017 unsere Werkstatt eröffnen durften – die so vieles einfacher machte.

Wie war das für die Schüler, die bei den Reisen dabei waren?

Eine unglaublich wichtige Erfahrung in ihrem Leben. Es hat ihnen so viel gebracht. Sie lernten nicht nur eine andere Kultur schätzen, sie erfuhren auch viel über Dankbarkeit und Wertschätzung von vergleichsweise einfachen Dingen.

Und in Uganda gab es nicht genügend Versorgung für Menschen mit Handicap?

Keineswegs. Die Menschen waren unterversorgt, aber nicht nur das. Eltern schämten sich für ihre Kinder, und Erwachsene versteckten sich. Amputierte Menschen waren und sind oftmals in einer sehr prekären Situation und werden ausgegrenzt. All dies habe ich erfahren und erkundet, als ich während der ersten Reisen mit Verantwortlichen sprach und Kliniken besuchte. Eine solche Arbeit im Bereich der Versorgung amputierter Menschen erschien mir als überaus wichtig.

Wenn du heute zurückblickst: Was hat sich geändert, was hat das Projekt für die Menschen bewirkt, und was freut dich ganz besonders?

Wenn ich zurückblicke auf die vergleichsweise kurze Zeit: Für mich ist es wie ein Wunder, was in Uganda bisher passierte. Wir haben jetzt einheimische Mitarbeiter. Sie sehen täglich, was ihre Arbeit bewirkt, auch über den reinen Broterwerb hinaus. Wir konnten in den letzten Jahren seit Errichtung der Werkstatt im Jahr 2017 vielen Kindern und Familien helfen. Und die Akzeptanz für Menschen mit Handicap ist in Uganda mittlerweile gestiegen – neben der orthopädietechnischen Versorgung freut mich dieser Aspekt ganz besonders. Wir können das Leben von Menschen gezielt verbessern. Das geschieht indem wir ihnen mit Liebe, Respekt und unserer Zeit begegnen. Das ermöglicht allen Beteiligten eine neue Form des Arbeitens und eine neue Form des Umgangs mit den Menschen mit Handicap. Diese Dinge sind mir in den letzten Jahren sehr wichtig geworden.

Sicher gab es auch Rückschläge oder Momente der Niedergeschlagenheit. Wolltest du auch einmal aufgeben? Was ist mit Schattenseiten der Tätigkeit?

Es gibt sicher Aufgaben, da denkt man: Wie soll das nur gehen? Ein Beispiel ist die Einführung von Containern nach Uganda. Anfänglich war der Verein sehr klein, und es gab große Herausforderungen zu meistern. Aber richtige Niedergeschlagenheit oder gar Gedanken ans Aufgeben gab es bei mir nie. Es gab und gibt immer eine Lösung. Darum will ich weniger von „Schattenseiten“ sprechen, eher von Aufgaben die manchmal schwierig sind und die es zu lösen gilt.

Seitdem du das Projekt gestartet hast, bist du im Hauptberuf Berufsschul-Lehrer. Wie kann man das Eine mit dem Anderen in Verbindung bringen, und was sagen Schul-Leitung, die KollegInnen und die SchülerInnen zu diesem Projekt ?

Alles was ich mache wird von der Schulleitung, von Kollegen und Schülern mitgetragen. Schüler bringen sich ein, die Schule veranstaltet jährlich einen Sponsoren-Lauf für PROUganda, es werden Gelder gesammelt und Materialien bereitgestellt. Für mich sind das traumhafte Bedingungen. PROUganda ist ein fester Bestandteil in meiner Berufsschule geworden. Ich kann beides miteinander vereinbaren, denn ich habe viele Menschen mit Leidenschaft und Herz gewinnen können, die sich einbringen. Jeder auf seine Weise. Und so kann ich die Vereinsführung und die Projekt-Weiterentwicklung bestens mit dem Beruf des Lehrers verbinden.

Uns interessiert der Tagesablauf des lokalen Werkstatt-Teams. Wie muss man sich das vorstellen? Ein normaler „Job“ wie in Deutschland ist das doch sicher nicht ?

Da lasse ich lieber unseren Werkstatt-Leiter Dieter Schawatt erzählen, der kann den Alltag viel besser beschreiben. Auf der Webseite haben wir ein ähnliches Interview mit Dieter eingestellt; das kann man unter prouganda.de/interview nachlesen. Das sind höchst interessante Einblicke und Bemerkungen! Dieter lebt vor Ort und kann viel mehr als ich über den Alltag in Uganda erzählen.

Du hast langjährige Erfahrung bei der Versorgung mit Menschen in Deutschland und in Uganda. Jetzt „wandest“ du zwischen beiden „Welten“ hin und her. Wie beschreibst du die Unterschiede zwischen beiden Ländern?

Deutschland ist mit hochtechnisierten Systemen in der Orthopädieversorgung unterwegs – wir sind quasi Weltmarktführer auf höchstem Niveau. Das alles haben wir in Uganda nicht. Doch fachlich arbeiten wir dort trotzdem auf einem hohen Standard – wir verwenden aber wo es möglich ist lokales Material, das später vor Ort auch repariert werden kann. Wir möchten viele Teile im Land selbst kaufen, um die Wirtschaft zu stärken und den lokalen Einwohnern ein Einkommen zu ermöglichen. Eine qualifizierte Berufsausbildung mit Berufsschulen und Lehrwerkstätten gibt es in Uganda derzeit nicht. Aber die Menschen, das muss man sagen, sind überaus dankbar, wenn sie mit Hilfsmitteln versorgt werden. Immer wieder erleben wir kleine Gesten. Nach einem Gipsabdruck hat uns eine Frau eine große Schale Ananas überreicht, weil sie überglücklich war. Wenn Kinder wieder spielen und Menschen wieder arbeiten können, ist das für uns ein großes Geschenk und der Lohn unserer Arbeit.

Anderes Thema: Es ist unglaublich, wenn man sieht, wie junge Menschen trotz ihres handicaps leidenschaftlich Fußball spielen. Warum ist die Förderung des Sports so wichtig für die jungen Spieler?

Der Handicap- Fußball ist ein erstaunlicher Sport. Mittlerweile hat sich eine eigene Liga etabliert. Hunderte von Zuschauern schauen sich mittlerweile an, was amputierte Sportler auf dem Spielfeld leisten. Sogar im Fernsehen werden die Spiele übertragen. Natürlich bringt das den Spielern jede Menge Selbstbewusstsein und Würde zurück. Es hält sie fitt, sie halten im Team zusammen, und sie werden durch den Sport in der Gesellschaft akzeptiert. Ich habe großen Respekt vor ihrer Leistung, Wir werden die Mannschaften weiter unterstützen, etwa durch den Bau von Prothesen für den Alltag der Spieler. Wir haben auch ganz spezielle Füße für Sportler im Angebot der Werkstatt. Und wer weiß, ob sich für den einen oder anderen ugandischen Sportler mit Handicap einmal der Weg zu den Paralympics findet?

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Reden wir über Visionen. – Versuch einmal, gedanklich 5 Jahre nach vorn zu „springen“. Was siehst du vor deinem inneren Auge, wie sieht es wohl in fünf Jahren auf dem Gelände von Pro Uganda aus?

Da fällt mir zuerst das geplante Kompetenz-Zentrum ein. Ein ganz wichtiger Schritt auf dem Weg nach vorn! Das Kompetenz-Zentraum wird fertig gestellt sein, wenn ich fünf Jahre nach vorn denke. Dort finden dann verschiedene Fortbildung in den Bereichen Medizin- und Amputationstechniken bis hin zu Traumabehandlungen statt. In der Lehrwerkstatt werden einheimische Fachkräfte ausgebildet, die auch auch aus anderen afrikanischen Ländern kommen werden. Weiterhin werden wir dann eine Produktionsstätte für orthopädische Hilfsmittel haben, also künstliche Gelenke und andere Passteile vor Ort herstellen. Eine große Vision ist für mich, Menschen mit Handicap eine Arbeitsmöglichkeit bei PROUganda zu ermöglichen. Vor meinem „inneren Auge“ sehe ich ferner ein Team aus noch mehr Berufsgruppen, also Orthopädiemechaniker, Schuh-Mechaniker, Therapeuten und Psychologen. Sie verzahnen sich in ihren Schwerpunkten. So versorgen wir den Menschen rundherum, also nicht nur mit reiner Orthopädie-Technik. Doch auch die Zusammenarbeit mit unseren Partnern wird intensiviert: Etwa mit dem Ärzte Team, das bisher schon 30 Patienten von uns versorgt hat. Gleiches gilt für unsere Partner in Gesellschaft und Politik. Die Orthopädietechnik in Uganda soll insgesamt auf einen deutlich besseren Standard gebracht werden – in allen Bereichen. Das ist meine Vision für die kommenden Jahre.

Immer wieder fragen Einzelne, Organisationen oder Firmen an, wie Sie ganz konkret helfen können. Was sagst du dem privaten Spender oder einer Firma, was können sie konkret für PRO Uganda tun?

Wir sind von Herzen dankbar für jede kleine und große Spende. Nur so konnten wir bisher wirksam helfen und wirksame Orthopädietechnik zu den Menschen bringen. Auch künftig wird jeder einzelne Euro ein Beitrag für die bessere Versorgung dieser Kinder und Erwachsenen sein. Wichtig ist aber auch, dass wir zweckungebundene Spenden benötigen, so dass wir gerade die „flankierenden“ Kosten, beispielsweise die Energiekosten und die Materialkosten auf lange Sicht bestreiten können. Außer der finanziellen Unterstützung benötigen wir für das neue Kompetenz-Zentrum noch die Innenausstattung, also für die praktische Lehrwerkstatt, für die Orthopädietechnik und Orthopädie-Schuhtechnik sowie für einen Therapie-Raum für Physiotherapie und Ergotherapie. Letztere soll mit allen benötigten Sport- und Therapiegeräten ausgestattet werden. Und für einen Konferenzraum brauchen wir Präsentationstechnik. Jede Spende ist also auch künftig willkommen.

Dein Glaube gibt dir Kraft – was bedeutet er dir in deinem Alltag?

Mein Glaube spielt für mich im Alltag und bei PROUganda eine entscheidende Rolle. Denn für mich persönlich ist ProUganda ein „Glaubensprojekt“ – und es ist immer wieder ein Wunder zu sehen, was vor Ort alles entstanden ist. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich in Uganda bin. Sind da wirklich sechs Gebäude entstanden, und 12 Mitarbeiter bringen sich mit Herzblut ein? Über 1200 Menschen mit Handicap konnten versorgt werden, und eine international anerkannte Berufsausbildung ist etabliert. So viele Menschen können nun Hoffnung für ihr Leben haben, und dies ist für mich nicht mehr und nicht weniger als ein großes Wunder.

Vielen Dank für diese Einblicke!

Das Gespräch mit Karsten Schulz führte Volkhard Michel.

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